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Kreditwirtschaft, Marktinformationen

Makro-Aufsicht warnt vor Überhitzung des europäischen Immobilienmarkts

In seinem aktuellen Jahresbericht stellt der Europäische Ausschuss für Systemrisiken ESRB fest, dass in vielen EU-Ländern die positive Entwicklung der Wohnimmobilienpreise mit Anzeichen einer Überbewertung einhergeht, die den Banken und anderen in der Immobilienfinanzierung eingebundenen Finanzintermediären Verluste bescheren könnte, sollte es am Immobilienmarkt zu einem deutlichen Abschwung kommen.

Die niedrigen Kreditzinsen sowie die relativ günstigen Wirtschaftsbedingungen, die in einigen EU-Ländern in den letzten Jahren herrschten, haben zu einer sehr dynamischen Entwicklung der Wohnungsbaukredite und einem signifikanten Anstieg der Wohnimmobilienpreise in zahlreichen EU-Ländern geführt. Die in ganz Europa in den letzten Jahren beobachteten relativ günstigen Wirtschaftsbedingungen und die niedrigen Zinsen haben die Nachfrage nach Wohnimmobilien verstärkt, sodass sich die Preise für Wohneigentum in vielen EU-Ländern in Richtung einer Expansionsphase entwickelt haben. In bestimmten Volkswirtschaften hat diese Entwicklung auch zu einer zunehmenden Verschuldung der privaten Haushalte zur Finanzierung ihres Wohnimmobilienkaufs beigetragen, wodurch laut ESRB der Wohnungsmarkt für Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds anfällig wird.

Auch in Deutschland beobachten wir in vielen Regionen einen starken Anstieg der Wohnimmobilienpreise. Diese resultieren neben den vom ESRB genannten Gründen - der niedrigen Kreditzinsen und der günstigen Wirtschaftsbedingungen - vor allem aus dem - gemessen am Bedarf - zu geringen Wohnraumangebot. Gründe für die Wohnraumkappheit sind vorwiegend zu lange dauernde Genehmigungsverfahren, zu wenig Baulandausweisungen und der Fachkräftemangel im Bauhandwerk. Auch wird insbesondere in den Großstädten Deutschlands die Schere zwischen Immobilienpreisen und Miete bzw. Einkommen immer größer, weshalb auch die Bundesbank derzeit dort von Überbewertungen in Höhe von 15 bis 30 Prozent ausgeht.

Vor diesem Hintergrund befürchtet der deutsche Ausschuss für Finanzstabilität AFS, dass die Banken in Deutschland die Werthaltigkeit der als Kreditsicherheit hinterlegten Immobilien überschätzen. Der Ausschuss hat dieses Risiko in seinem im Mai 2019 veröffentlichten Jahresbericht wie folgt beschrieben: "Sollte unerwartet die Konjunktur stark einbrechen, könnten die Ausfälle von Wohnimmobilienkrediten in Deutschland aufgrund von Einkommensrückgängen bei Kreditnehmern ansteigen. Auch würden sich bei fallenden Immobilienpreisen die Verlustquoten bei Kreditausfall erhöhen. Die Ergebnisse eines auf Wohnimmobilienkredite beschränkten Stresstests der Bundesbank deuten darauf hin, dass es in einem adversen makroökonomischen Szenario in weiten Teilen des deutschen Bankensystems zu bedeutsamen Verlusten kommen würde. Die Verluste entstünden nicht nur aus kürzlich vergebenen Krediten, sondern auch aus älteren Kreditjahrgängen. Das heißt, Verlustrisiken im Kreditbestand wurden durch die steigenden Bewertungen der Kreditsicherheiten zwar verringert, nicht aber beseitigt. Risiken aus den Wohnimmobilien-Kreditbeständen der Banken tragen damit insgesamt zur derzeitigen zyklischen Verwundbarkeit des deutschen Bankensystems bei."

Auch für Gewerbeimmobilien wurden entsprechende Preiserhöhungen und Anzeichen für eine Überbewertung in Europa beobachtet, obgleich laut ESRB die Kreditvergabe der Banken in diesem Segment verhalten war. Laut dem deutschen Ausschuss für Finazstabilität AFS zeigt der Markt für Gewerbeimmobilien in Deutschland hingegen keine akuten Stabilitätsrisiken.

Ob wir in Europa und in Deutschland von einer Immobilienblase sprechen können, hängt insbesondere davon ab, ob ein unerwarteter starker Konjunktureinbruch droht. Vor dem Hintergrund des Handelskriegs zwischen USA und China und dem bevorstehenden Brexit sowie den derzeitigen Anzeichen für eine bevostehende Rezession kann dieser nicht ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass in manchen Regionen Europas und Deutschlands die Immobilienpreise einbrechen könnten, nimmt entsprechend zu. Ob wir eine Immobilienblase haben, wissen wir jedoch erst, wenn sie platzt.

Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) ist als spezielles Gremium bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main angesiedelt. Der ESRB hat die Aufgabe, insbesondere makroökonomische Entwicklungen zu beobachten, um Systemrisiken für die Finanzstabilität in der Europäischen Union frühzeitig zu erkennen und einzudämmen sowie Schaden von der EU abzuwenden. Für diese Zwecke kann der ESRB festlegen, welche Informationen zu erheben sind und diese auswerten. Er kann Systemrisiken nach Priorität einordnen und ermitteln. Werden dabei signifikante Risiken für die Finanzstabilität festgestellt, so kann der ESRB Warnungen aussprechen und gegebenenfalls Empfehlungen für Abhilfemaßnahmen beschließen.

Zentrale Aufgabe des deutschen Ausschusses für Finanzstabilität (AFS) ist es, die für die Finanzstabilität maßgeblichen Sachverhalte regelmäßig zu erörtern und bei identifizierten Gefahren vor diesen zu warnen und Empfehlungen zu ihrer Abwehr abzugeben. Als Grundlage hierfür dienen die Analysen der Deutschen Bundesbank. Der Ausschuss berät zudem über den Umgang mit Warnungen und Empfehlungen des ESRB.

Quellen: Jahresbericht 2018 des Europäischen Ausschusses für Systemrsiken (ESRB) / AFS: Sechster Bericht an den Deutschen Bundestag zur Finanzstabilität in Deutschland / Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Februar 2019 / Sprengnetter Immobilienmarktmonitoring (S-IM)

Jochem Kierig